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15. Juni 2007

Mit dem Kopftuch nach Europa?

Die Türkei auf dem Weg in die Europäische Union

Verlag: Primus Verlag, ISBN-10 : 3896786148, ISBN-13 : 978-3896786142

 

Bassam Tibi stammt ursprünglich aus Syrien. Seit 1976 ist der Politikwissenschaftler deutscher Staatsbürger. Als Professor für Internationale Beziehungen an der Georg-August-Universität Göttingen wurde er durch seine klugen Stellungnahmen zum Thema Islamismus der Öffentlichkeit bekannt.

Mit diesem Buch versucht er zu einer Versachlichung der Debatte um den Türkeibeitritt zur EU beizutragen. Laut Tibi werden die großen Fragen nicht öffentlich angesprochen und einer Selbst-Zensur unterworfen.

Fragwürdig und erstaunlich findet er denn auch die Haltung Europas der im Laufe der Jahre unterschiedlich gesinnten Türkei gegenüber :

„Vierzig Jahre lang klopften die europäisch und säkular im Sinne des Republikgründers Atatürk gesinnten Türken an die Tür Europas und warben um die Aufnahme in die EU; sie wurden abgewiesen und Europa zeigte ihnen schlicht die kalte Schulter. Dagegen gelingt es einer im politischen Islam (Islamismus) verankerten AKP, zu deren Gründern Recep Tayyip Erdogan gehört, von Europa positiv aufgenommen zu werden.“ (S. 13) Die Bedeutung der Türkei für Europa ist nach Tibi von zentraler Bedeutung, doch ihre Zugehörigkeit sei keine „außenpolitisch-strategische Angelegenheit, sondern eine Frage der zivilisatorischen Identität“. (S. 40)

Dabei stellt Tibi immer wieder die Frage, was für eine Türkei Einzug in Europa halten soll. Tibi unterscheidet zwei Arten von Islamismus. Den politischen Islam, der die Einheit von Kirche und Staat verlangt und den Euro-Islam, der eine Trennung von Religion und Politik akzeptiert. Über Koran-Lehrer und Imame folgt seiner Auffassung nach ein Export des Islamismus nach Deutschland, da es Hauptland der türkischen Migration sei.

Deshalb fordert Tibi, soll eine „ Messlatte“ (S. 174) für den Betritt der Türkei zur EU sein, welchem Islam die in Europa lebenden Türken folgen wollen. Dem aufgeklärten Euro-Islam oder dem konservativ-politischen.

„Die Europa –Orientierung der heute in der Türkei regierenden AKP erschöpft sich in der Absicht des Ausnutzens der wirtschaftlichen Vorteile. Nach meinem Dafürhalten sind die Einstellungen der in Westeuropa lebenden Türken die Messlatte, an der abzulesen sein wird, ob sich die Bevölkerung der Türkei positiv für Europa entscheidet.“ (S.174)

Bassam Tibi geht ebenfalls auf die Kopftuchproblematik ein, die in Europa immer mehr Gehör findet. Er merkt an, dass es einen Koranvers gibt („Sure al Nur/ das Licht“, Vers 30 und Vers 31) der Männern wie Frauen vorgibt „ihre Blicke zu senken und darauf zu achten ihre Scham zu bewahren“ (S.130) Im Koran würde das Kopftuch mit keinem Wort erwähnt, stattdessen wird der Schleier in der Schari’a  allen Frauen auferlegt.

Für Tibi ist das Kopftuch also weder ein Zeichen für Religiosität noch als eine Tracht anzusehen. „Die Verbindung des Kopftuchs mit einem langen Mantel ist die politische Frauen–Uniform des Islamismus“ (S. 109) „Der politische Inhalt des Kopftuchs ist eine antiwestliche Weltanschauung. Der Einsatz von AKP- Politikern wie Abdullah Gül und Tayyip Erdogan für das Kopftuch als Bekleidung der Frauen ist entsprechend in dieser Polarisierung einzuordnen. Deswegen können diese Personen nicht als Boten für die Europäisierung der Türkei eingeschätzt werden.“ (S.28)

Über den Weg des Kopftuchs und seine Akzeptanz in Europa will die AKP den Weg für die Befürwortung der Schari’a ebnen, so Tibis Auffassung:

„Unter den Bedingungen des weltanschaulichen Konfliktes zwischen der islamischen und der westlichen Zivilisation bringt das Kopftuch als „Emblem des Islamismus“ auch eine defensiv-kulturelle Haltung zum Ausdruck und ist zugleich in erster Linie eine neue Herausforderung an den Westen. Diese besteht darin, dass der Islamismus über das Kopftuch den Weg für die Akzeptanz der Schari’a ebnen will. Der Islamismus wird täuschend als islamischer Konservatismus präsentiert. Mit dieser Vorspiegelung falscher Tatsachen wollen die Islamisten der AKP nach Europa vordringen, aber nicht, weil sie Europa und seine Werte mögen.“ (S.128)

Bassam Tibi fordert von den in Europa lebenden Muslimen auch tatsächlich Bürger Europas zu werden. Sie sollten sich als Individuen sehen und nicht allein als dem Kollektiv der Muslime zugehörig. Es ist eine Frage der Akzeptanz der verschiedenen Identitäten, die den aufgeklärten Bürgern Europas geläufiger ist, als den in einer alle Lebensbereiche vereinnahmenden religiösen Gemeinschaft lebenden Migranten.

„Ist dies nicht möglich, bleiben Muslime nur Vorposten des Islam in Europa und Fremde, denen man mit Recht nicht vertraut. Dann haben die Islamisten gesiegt.“ (S.187)

Ein sehr lesenswertes Buch, in dem Tibi mutig und beherzt Stellung bezieht. Er begibt sich auf sensibles Terrain, wurde doch sogar ihm, der kaum im Verdacht der Ablehnung des Islam oder des Rassismus gegenüber der Türkei steht, dieser Vorwurf schon gemacht! Tibi ist Europäer durch und durch und spricht deshalb mit Zeichen setzender Sprache zu seinen Landsleuten sowie zu uns:

„Dem Geist der Schari’a darf kein Zutritt nach Europa gewährt werden!“ (S.133)

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