Der Vater der Verfassung
Freiheitliches Bildungswerk
Anton Ritter von Schmerling wurde am 23. August 1805 in Wien geboren. Nach seinen juridischen und philosophischen Studien an der Universität Wien entwickelte er sich zu einem der einflussreichsten Politiker der Habsburger-Monarchie im 19 Jhdt. mit einer politischen Linie, die als liberal und deutschnational bezeichnet werden kann. Mehr als ein halbes Jahrhundert diente er in hochrangigen politischen und administrativen Funktionen. Zweimal in seinem Leben wurde er unter dramatischen Umständen an eine Schlüsselposition berufen, 1848 in Frankfurt und 1860 in Wien.
Im späten 19. Jahrhundert erlebte das Memoirenschreiben, das Veröffentlichen von Erinnerungen und Denkwürdigkeiten eine Blüte. Anton Ritter von Schmerlings Denkwürdigkeiten basieren – mangels Tagebuchähnlicher Aufzeichnungen oder privilegiertem Archivzugang aufgrund der Oppositionsrolle – vorwiegend auf Protokollen der Sitzungen des Reichsrats und der deutschen Nationalversammlung 1848, dem Zeitpunkt des Beginns der Ministertätigkeit und Memoiren.
1847 trat Schmerling als Appellationsgerichtsrat aus dem Staatsdienst aus und wurde ständiger Abgeordneter zur Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt. Ein Jahr später wurde er von Mai bis Juli 1848 österreichischer Präsidialgesandter beim Bundestag in Frankfurt und Vorsitzender des Bundestags. Dort bekleidete er unter Reichsverweser Erzherzog Johann (1782-1859) zuerst ab Juli das Amt des Reichsministers für Inneres und ab September 1848 das Amt des Reichsministers für Äußeres und des Ministerpräsidenten bis zu seinem Rücktritt im Dezember 1948. Anschließend war er von 1849 bis 1851 Justizminister der Regierung Schwarzenberg, danach Senatspräsident am Obersten Gerichtshof und ab 1857 Präsident des Oberlandesgerichts in Wien.
Von Dezember 1860 bis 1965 stand Schmerling an der Spitze der Regierung unter dem Titel Staatsminister, denn der offizielle Ministerpräsident war Erzherzog Rainer. 1861 ersetzte Schmerling das föderalistische Oktoberdiplom 1860 durch das von ihm ausgearbeitete zentralistische Februarpatent. Er regierte mit dieser Verfassung, die von Kaiser Franz Joseph I. für die gesamten Monarchie erlassen wurde, ausschließlich gestützt auf die Deutschliberalen im Abgeordnetenhaus - das neben dem Herrenhaus die zweite Kammer im Reichsrat war und im Volksmund ironisch als „Schmerling-Theater“ bezeichnet wurde - gegen die wachsende Opposition der Ungarn und slawischen Völker. Die Gesetzgebung wurde in der Februarverfassung zwischen dem Kaiser und den zwei Häusern des Reichsrates geteilt, wobei das Abgeordnetenhaus durch von den Landtagen entsandte Abgeordnete gebildet werden sollte. Diese Regelung wurde von Ungarn und teilweise von Galizien als zu zentralistisch abgelehnt und die ungarischen Politiker boykottierten sie wann immer möglich. Ohne voll wirksam geworden zu sein, wurde das im Februarpatent verkündete Grundgesetz über die Reichsvertretung am 20. September 1865 vom Kaiser durch das sogenannte „Sistierungspatent“ vorübergehend außer Kraft gesetzt, da man mit Ungarn „nicht über Regeln verhandeln könnte, die gleichzeitig in anderen Teilen des Reiches rechtsverbindlich wären“.
Anton Ritter von Schmerling versuchte auch den Vorsitz Österreichs im Deutschen Bund zu erhalten, scheiterte aber an der Politik Bismarcks, was Kaiser Franz Joseph I. dazu veranlasste, sich von ihm zu trennen, obwohl die "Ära Schmerling" durchaus erfolgreich zur Liberalisierung der Habsburgermonarchie beigetragen hatte durch das Protestantengesetz (1861), ein Gesetz über den Schutz einiger wichtiger Grundrechte (1862) und den Frankfurter Fürstentag (1863) - einer Versammlung deutscher Fürsten, die über eine Reform des Deutschen Bundes auf Einladung des österreichischen Kaisers beriet - und auch die Beteiligung Österreichs auf der Seite Preußens am Deutsch-Dänischen Krieg.
Von 1865 bis 1891 war Schmerling Präsident des Obersten Gerichtshofes. 1867 berief man ihn in das Herrenhaus als Mitglied auf Lebzeiten, als dessen Präsident Schmerling 1871 amtierte. Er führte nach 1879 die Opposition im Herrenhaus gegen die in seinen Augen föderalistische Politik von E. Graf Taaffe, der vom Kaiser erneut zum k.k. Ministerpräsidenten ernannt worden war und bis zum 11. November 1893 amtierte. Diese Berufung diese konservativen Monarchisten Graf Taffee brachte einen grundlegenden Wandel der Politik und bedeutete das Ende der politischen Vormacht der Liberalen, der Regierung durch Advokaten und Unternehmer. Schmerling verstarb am 23. Mai 1893 in Wien.
Aus dem Werk:
„Auch wenn Schmerling rückwirkend aus seiner Erbitterung über die Ungarn kein Hehl machte, so ist es doch wichtig festzuhalten, daß er ursprünglich als Kompromißkandidat zwischen den drei Gruppen – den alten Bürokraten, den ungarischen Konservativen und den deutschen Liberalen – in die Regierung berufen wurde, als Premier de facto, wenn auch nicht dem Namen nach. Deutlich wird einerseits die Eigendynamik der damit eingeleiteten Entwicklung – und auch deren wesentliche Triebfeder, die Finanznot, die keine Ausflüchte gestattete, andererseits aber auch, wie sehr diese konstitutionellen Errungenschaften von Anfang an überschattet, ja dominiert wurden durch das kontrovers und ungelöst bleibende Problem der Integration Ungarns. Der Ausbau der Verfassung wurde durch die Problematik des Vielvölkerstaates – und die ungarische Frage war hier nur die Spitze des Eisbergs – laufend konterkariert und in Frage gestellt. Die Stellung des Monarchen als Instanz, an die alle eine letztendliche Entscheidung appellierten, erfuhr durch diese Querelen wiederum eine Aufwertung, auch wenn die Stabilität seines Reiches unter ihnen litt. Die Institution des Staatsrates – als eines kaiserlichen „Schattenkabinetts“, bestehend aus Räten der Krone, die keinem Parlament verantwortlich waren – ließ erkennen, daß der Kaiser seine verbleibenden Kompetenzen sehr wohl zu nutzen gedachte. Daß ein Premier aus Furcht vor Intrigen schließlich glaubt, zu nächtlicher Stunde in eigener Person die Drucklegung ´seiner´ Verfassung überwachen zu müssen, dürfte wohl auch eine einzigartige Episode darstellen und illustriert trefflich die Unsicherheit dieser Übergangsperiode.“
Quelle: Der Vater der Verfassung. Aus den Denkwürdigkeiten A. Ritters von Schmerling, Freiheitliches Bildungswerk 1993, S. 25 f.